Großmutter mit Enkeln
Ein Gemälde von Dietlind Horstmann- Köpper
Dieses Bild schreit mich an – laut, obwohl es so sanft und zart gemalt ist. Immer wieder kehre ich bei dem Besuch einer Ausstellung der Künstlerin Dietlind Horstmann-Köpper in Lüneburg zu diesem Werk zurück. Wie im Bann studiere ich die Gesichtszüge der Großmutter. Sie wirkt freundlich – sie will lieb zu den Enkeln sein, doch hinter der Stirn ist Sorge. Ihre blauen Augen schauen mich an, verraten mir auch einen Hauch von Stolz. Stolz auf ihre beiden Enkel, die sie beschützen kann.
Ihre großen, zarten Hände! Die Linke umfasst fest den Jungen. Er muss sich nicht fürchten, er ist geborgen auf dem Schoß der Großmutter. Mit der rechten Hand kann sie spielen, agieren, eventuell auch das kleine Mädchen an sich ziehen und in die Arme nehmen. Sie darf zufrieden sein, denn sie beschützt die beiden und sie kann sie beschützen.
Die Großmutter ist das Thema, der Weckruf sind die Kinder! Das kleine Mädchen, adrett gekleidet, wirkt ängstlich, eher kindlich. Sie steht neben der Großmutter, eng, aber sie belegt nicht mehr ihren Schoß. Da sitzt sie Hauptperson – ich kann den Blick nicht von dem Baby im Strampelanzug wenden. Der Säugling mit dem alten Gesicht. Er hat kein Kindergesicht – ich suche nach dem „Kindchenschema“, finde es nicht in diesem Gesicht. Es verrät ein intuitives Wissen.
Der kleine Junge sieht etwas sehr Beunruhigendes und blickt in eine andere Richtung wie die Großmutter und die Enkeltochter. Die beiden schauen in die Kamera, zur Künstlerin hin. Der Junge, der alte Junge, blickt in die Ferne. Im Gesicht ein großes Erschrecken. Dieser Schreck durchflutet mich beim Betrachten des Bildes. Was sieht er? Woher weiß er, der Säugling im Strampelanzug, was auf sie zuzukommen scheint? Stechende braune Augen erkennen etwas, das die anderen nicht sehen oder nicht sehen wollen.
Der freundliche Hintergrund, die Parklandschaft verschwindet. Er schmeichelt den Protagonisten des Bildes. Der Widerspruch ist groß: die zarten Farben, die freundliche
Landschaft, die schöne, stattliche Großmutter und dann die verstörten Kinder. Die Großmutter bündelt ihre Gefühle. Der Junge dagegen wirkt unverstellt, natürlich und, so scheint es, altersweise – und das im Strampelanzug und mit Babyspeck.
Je länger ich das Bild betrachte, umso mehr schließe ich die Großmutter in mein Herz. Die Kinder bleiben unergründlich. Ihre Gesichter drücken aus, was ich oft empfinde, wenn ich Kinder beobachte und mich an meine eigene Kindheit zurückerinnere. Was hat man gedacht, wieviel hat man intuitiv gewusst – es wurde von der Erwachsenenwelt nicht wahrgenommen und gesehen. Die Erwachsenenwelt schaut in die Kamera, weil sie glaubt, dass sie das muss.
Das Mädchen zeigt ängstlich auf den Jungen mit dem stechend wissenden Blick.
Ich werde wieder mehr auf meine Kinder und Enkel hören – je jünger, umso wichtiger.
©Annette Rümmele
Was denken Sie?